Das System der NS-Zwangsarbeit breitete sich im Verlauf des Zweiten Weltkriegs aus. Sobald die Wehrmacht ein Land besetzt hatte, wurde die dortige Bevölkerung zur Arbeit gezwungen. Gemäß der rassistischen Ideologie galten die Menschen in den eroberten Ländern als Kriegsbeute. Dennoch war der Einsatz von Zwangsarbeiter:innen nicht von langer Hand geplant, sondern wurde stetig dem wachsenden Bedarf an Arbeitskräften im Kriegsverlauf angepasst.

Protektorat Böhmen und Mähren

Noch vor Kriegsbeginn wurden mit der Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 – des deutsch besetzten tschechischen Teils der Tschechoslowakei – dortige Bewohner:innen zu Zwangsarbeit verpflichtet. Sie kamen zum Teil zu einer dreimonatigen Schulung in die großen Rüstungsfirmen wie Siemens oder Telefunken und wurden dann in deutschen Zweigwerken im Protektorat eingesetzt. Je länger der Krieg dauerte, umso mehr bemühte sich die nationalsozialistische Verwaltung, das System der Zwangsarbeit an die neuen wirtschaftlichen Erfordernisse anzupassen. Ab 1942 wurden ganze Jahrgänge von Tschechen:Tschechinnen zur Arbeit im Deutschen Reich verpflichtet. Das heißt, alle Männer, die in einem bestimmten Jahr geboren worden waren, mussten Zwangsarbeit in Deutschland leisten. Später wurden Menschen auch gewaltsam bei Razzien verschleppt.

Kriegsgefangene als erste Gruppe

Im September 1939 überfiel die Wehrmacht Polen – der Beginn des Zweiten Weltkriegs. In der Folge wurden 600 000 polnische Kriegsgefangene nach Deutschland deportiert, wo sie in der Landwirtschaft Zwangsarbeit leisten mussten. Vielen polnischen Soldaten wurde ihr Status als Kriegsgefangener aberkannt. Sie wurden in die sogenannte zivile Zwangsarbeit überführt. So entzogen die NationalsozialistInnen den Kriegsgefangenen ihre Rechte und konnten nach Belieben die Arbeitsbedingungen verschärfen. Parallel dazu wurde auch die polnische Zivilbevölkerung zur Zwangsarbeit verschleppt.

Im Juni 1940 besiegte das Deutsche Reich Frankreich und die Benelux-Staaten. Daraufhin wurden etwa 1,6 Millionen Kriegsgefangene nach Deutschland gebracht, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten.

Überfall auf die Sowjetunion

Der Beginn des Angriffskrieges auf die Sowjetunion im Juni 1941 war entscheidend für die Ausweitung des Systems der NS-Zwangsarbeit. Der Krieg endete nicht mit einem raschen Sieg, sondern erforderte den jahrelangen Einsatz von Millionen arbeitsfähigen Deutschen in der Wehrmacht. Die deutsche Wirtschaft brauchte deshalb dringend Arbeitskräfte. Eigentlich sollten Menschen aus dem östlichen Europa nicht ins Deutsche Reich geholt werden, um nicht mit Deutschen in Kontakt zu geraten. Die von den NationalsozialistInnen fantasierte deutsche "Volksgemeinschaft" sollte reingehalten werden. Das NS-Regime fürchtete zudem mögliche Aufstände und eine kommunistische Unterwanderung der Gesellschaft. Wegen des anhaltenden Krieges und des damit einhergehenden Arbeitskräftemangels in Deutschland konnten die NationalsozialistInnen diese Politik der strikten Trennung aber nicht aufrechterhalten. Ab Herbst 1941 wurden so auch Kriegsgefangene aus der Sowjetunion zur Zwangsarbeit eingesetzt. Zusätzlich wurden ganze Bevölkerungsgruppen – Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder – nach Deutschland verschleppt und zur Arbeit gezwungen.

Auch in den anderen besetzten Gebieten erhöhte sich der Druck auf die Bevölkerung. Für Erwachsene aus Belgien und Frankreich wurde ab 1942 ein verpflichtender Arbeitseinsatz im Deutschen Reich eingeführt. In den Niederlanden wurden ab 1943 ganze Jahrgänge zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert.

Im September 1943 trat Italien aus dem Bündnis mit Deutschland aus. Die deutsche Wehrmacht nahm daraufhin die italienischen Soldaten und Offiziere gefangen. Etwa 650 000 Italiener wurden in das Deutsche Reich und in die besetzten Gebiete deportiert. 1944 wurden sie zu "Militärinternierten" erklärt. So konnten sie ohne Rücksicht auf das Völkerrecht als Zwangsarbeiter in der Rüstung eingesetzt werden.

Die Zahl der verschleppten Zwangsarbeiter:innen erhöhte sich so im Laufe des Krieges enorm. 1939 befanden sich etwa 300 000 ausländische Arbeitskräfte in Deutschland, 1944 waren es etwa sieben Millionen.

Insgesamt mussten 13 Millionen Menschen im Deutschen Reich Zwangsarbeit leisten. Die rund 2,8 Millionen Menschen aus der besetzten Sowjetunion bildeten die größte Gruppe der zivilen Zwangsarbeiter:innen. Die meisten stammten aus der Ukraine, aber viele kamen auch aus Belarus und Russland. Ungefähr 1,6 Millionen Zwangsarbeiter:innen stammten aus Polen. Während aus den Gebieten des östlichen Europas viele Frauen und Jugendliche deportiert wurden, setzten sich die Gruppen westeuropäischer Zwangsarbeiter größtenteils aus Männern zusammen. Man schätzt, dass ca. eine Million Menschen aus Frankreich, 880 000 aus Italien, 475 000 aus den Niederlanden, 375 000 aus Belgien, 355 000 aus Tschechien, 100 000 aus Serbien und viele Menschen aus anderen Staaten in Deutschland Zwangsarbeit leisten mussten.

Deutschland war der organisatorische Dreh- und Angelpunkt für eine millionenfache Zwangsmigration. So mussten beispielsweise sowjetische Kriegsgefangene in Norwegen Gräben ausheben, und KZ-Häftlinge aus Auschwitz wurden 1944/45 mit der Verlegung deutscher Produktionsstätten ins Deutsche Reich mitgenommen.

 

Literatur:

Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart/München 2001.

Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1999.