Im September 1944 befanden sich etwa 7 Millionen zivile Zwangsarbeiter:innen und Kriegsgefangene in Deutschland. Allein aufgrund dieser großen Zahl gab es sehr viele Orte, an denen sich Zwangsarbeiter:innen und deutsche Zivilist:innen begegneten: bei der Arbeit, auf öffentlichen Plätzen und Straßen oder in Privathaushalten. Zwangsarbeiter:innen waren im Alltag der deutschen Bevölkerung allgegenwärtig.

In privaten Haushalten und auf Höfen

Besonders engen Kontakt zu Zwangsarbeiter:innen hatten Deutsche immer dann, wenn es sich um Zwangsarbeit in ihrem eigenen Haushalt oder einem sehr kleinen Betrieb handelte. Als zukünftige Vorgesetzte suchten sie sich die Personen, die für sie arbeiten sollten, selbst aus. Zu diesem Zweck wurden die Zwangsarbeiter:innen häufig an öffentlichen Plätzen in den jeweiligen Städten und Orten "ausgestellt". Ihnen wurde in den Mund geschaut oder sie wurden nach ihrer körperlichen Erscheinung beurteilt. Viele Zwangsarbeiter:innen verglichen diese entwürdigende Situation mit "Sklaven-" oder "Viehmärkten".

Arbeiteten die Zwangsarbeiter:innen für einen landwirtschaftlichen Betrieb oder in einem Haushalt, waren sie dort in der Regel in einem Viehstall oder im Keller untergebracht. Es gab zahlreiche Richtlinien und Anweisungen für private Haushalte, die sicherstellen sollten, dass die rassistisch vorgeschriebene radikale Abgrenzung der Zwangsarbeiter:innen von deutschen Familien eingehalten wurde. Nationalsozialistische Schaubilder gaben Tipps, wie die Ausgrenzung im Alltag praktisch auszuführen sei. Eine Zeichnung zeigt einen polnischen Zwangsarbeiter beim Essen auf dem Hof und fordert, dass ihm ein gesonderter Raum zugewiesen werde, da er aus rassistischen Gründen nicht Teil der "Tischgemeinschaft" sein könne. Verstießen deutsche ArbeitgeberInnen gegen die Regelungen, wurden ihnen in der Konsequenz die ausländischen Arbeitskräfte wieder entzogen.

In vielen Fällen waren Zwangsarbeiter:innen nicht direkt an ihrem Arbeitsort untergebracht. Zwangsarbeitslager wurden teilweise auf dem Firmengelände oder in unmittelbarer Nähe eingerichtet. Die Wege vom Arbeitsort zum Lager führten häufig durch Wohngebiete, sodass viele Deutsche die Arbeitskolonnen beobachten konnten oder ihnen auf ihren Wegen begegneten. Die Zwangsarbeitslager waren überall: Schätzungen gehen von der Existenz von 30 000 Lagern aus.

Aufeinandertreffen in Betrieben

Auch in den Betrieben gab es zahlreiche Berührungspunkte zwischen Zwangsarbeiter:innen und Angehörigen der deutschen Zivilbevölkerung. Deutsche Männer konnten sich von der Einberufung freistellen lassen, sofern sie kriegswichtige Arbeitsplätze besetzten. Wenn dann in ihrem Betrieb Zwangsarbeiter:innen eingesetzt wurden, übernahmen sie häufig die Aufgabe von Vorarbeitern. Anstatt wie zuvor selbst an den Maschinen zu arbeiten, stiegen sie in der Hierarchie auf und überwachten nun die Arbeit der Zwangsarbeiter:innen. In dieser Funktion besaßen sie weitreichende Machtbefugnisse, um Zwangsarbeiter:innen wegen vermeintlichen Fehlverhaltens zu bestrafen.

Verbotene Freundschaften und Beziehungen

Beziehungen und Begegnungen zwischen als "arisch" bezeichneten Deutschen und Zwangsarbeiter:innen wurden streng reguliert, überwacht und schon bei bloßem Verdacht geahndet.

Liebesbeziehungen oder Sex zwischen Deutschen und ausländischen Zwangsarbeiter:innen waren grundsätzlich verboten. Dennoch entwickelten sich Beziehungen zwischen Zwangsarbeiter:innen und Angehörigen der deutschen Zivilbevölkerung. Wurde eine solche Beziehung öffentlich, hatte das schlimme Folgen: Um die Folgen einer Übertretung der rassistischen Ordnung zu zeigen und diese symbolisch wiederherzustellen, wurde die deutsche Frau öffentlich gedemütigt, indem ihr zum Beispiel die Haare geschoren wurden. Der ausländische Zwangsarbeiter musste darüber hinaus mit einer harten Strafe rechnen. Menschen aus der Sowjetunion oder Polen wurde nach der Entdeckung eines verbotenen Umgangs besonders grausam behandelt: In vielen Fällen wurden sie durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) hingerichtet oder in ein KZ eingewiesen.

Obwohl der Umgang zwischen Deutschen und Zwangsarbeiter:innen durch den Staat reguliert war, konnten die Angehörigen der Zivilbevölkerung im konkreten Fall selbst entscheiden, wie sie sich den Zwangsarbeiter:innen gegenüber verhielten. Ehemalige Zwangsarbeiter:innen berichten sowohl von Mitleid oder Solidarität, die ihnen entgegengebracht wurden und sich etwa im Zustecken von Broten zeigten, als auch von Misshandlungen oder Denunziationen. Viele Deutsche beschwerten sich beispielsweise über die millionenhafte Ankunft von Zwangsarbeiter:innen und beklagten deren Anwesenheit in Schwimmbädern oder Kinos. Da ein großer Teil der deutschen Bevölkerung die rassistische NS-Ideologie verinnerlicht hatte, überwog unsolidarisches oder rassistisches Verhalten oder Gleichgültigkeit gegenüber den Zwangsarbeiter:innen.

 

Literatur:

Insa Eschebach, Christine Glauning, Silke Schneider (Hrsg.). Verbotener Umgang mit "Fremdvölkischen". Kriminalisierung und Verfolgungspraxis im Nationalsozialismus, Berlin 2023.

Mark Spoerer. Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz: Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart/München 2001.