Elli Köhn (1920 – 2011)

Elli Köhn wurde 1920 geboren und lebte in Berlin Neukölln. Sie besuchte häufig ihre Verwandten in Niederschöneweide, wo im Jahr 1943 auf der Britzer Straße ein großes Zwangsarbeitslager des Generalbauinspektors (GBI), das GBI Lager 75/76, errichtet worden war. Bei einem ihrer Besuche erfuhr Elli Köhn, dass ihre Schwägerin sich mit einem jungen russischen Zwangsarbeiter aus dem benachbarten Lager angefreundet hatte. Sie war ihm in der Tischlerei in der Britzer Straße begegnet, wo sie stets ihr Sägemehl holte und er Zwangsarbeit leisten musste. Das herrschende Kontaktverbot, das die Freundschaft einer Deutschen zu einem russischen Zwangsarbeiter unter Strafe stellte, ignorierte sie. Über die Schwägerin bekam auch Elli Köhn Kontakt zu Alexander Korodelow, der bald ein Freund der Familie wurde. Er erzählte Elli Köhn von seiner Deportation: Er und sein Onkel waren auf einem Feld in der Nähe seines Heimatorts Orel von SS-Truppen überfallen und nach Deutschland verschleppt worden.

Gemeinsame Freizeit

Alexander Korodelow war sehr oft bei Elli Köhns Verwandten zu Besuch, meist am Wochenende und wohl auch in der Woche. Elli Köhn und er gingen zusammen ins Kino und unternahmen Ausflüge – unter anderem nach Potsdam. Um nicht als russischer Zwangsarbeiter erkannt zu werden, versteckte Alexander Korodelow das "Ost"-Abzeichen, das er normalerweise sichtbar an seiner Kleidung tragen musste. Der Besuch nach Potsdam und andere gemeinsame Momente sind in einem Fotoalbum von Elli Köhn festgehalten.

Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin wurde das Lager in der Britzer Straße am 23./24. April 1945 befreit. Alexander Korodelow musste sich daraufhin bei einer Einheit der sowjetischen Streitkräfte in Thüringen melden. Elli Köhn gab ihm die Anzüge ihres bereits 1943 verstorbenen Mannes und ein Fahrrad, so dass er sich auf den Weg machen konnte.

Solidarisches Verhalten

Jahrzehnte später, im Jahr 2005, sprach Elli Köhn mit einer Mitarbeiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit über ihre Freundschaft zu Alexander Korodelow. Danach befragt, warum sie und ihre Familie trotz Strafandrohung Kontakt zu dem jungen Russen aufgenommen und sich bis Kriegsende um ihn gekümmert haben, antwortete Frau Köhn, das sei für sie ein selbstverständlicher Akt der Solidarität gewesen. Sie war genau wie ihr erster Mann, der als Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus verfolgt und verhaftet worden war, Mitglied der KPD. Auch Elli Köhns Schwägerin und die Familienangehörigen aus Niederschöneweide standen der kommunistischen Partei nahe. Sie hätten sich für Alexander Korodelow aus menschlichen Gründen eingesetzt, ihre Hilfe zugleich aber auch als Akt des Widerstandes begriffen. Ihre einzige Möglichkeit gegen das NS-System anzugehen habe für sie darin bestanden, sich in einer verbotenen Freundschaft zu engagieren sowie russischen Zwangsarbeitern auf einer Gleisbaustelle an der U-Bahnhaltestelle Hermannstraße heimlich Brot zuzustecken.

Nach der Befreiung

Nach der Befreiung trafen sich Elli Köhn und Alexander Korodelow 1946 noch ein letztes Mal. Elli Köhn arbeitete im Parteibüro der KPD in Berlin, wo Alexander Korodelow sie vor seiner Rückkehr nach Russland aufsuchte. Spätere Bemühungen Elli Köhns, erneut Kontakt zu dem früheren Freund aufzunehmen, blieben erfolglos. Sie schrieb Alexander Korodelow und erkundigte sich bei dem Bürgermeister von Orel nach ihm, erhielt jedoch keine Antwort mehr.