Jean-René Vidal (1905-1983)
Jean-René Vidal wurde 1905 in der Nähe von Bordeaux in Bazas (Gironde) als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Bereits mit neun Jahren verließ er die Schule und arbeitete als Zimmermann. 1925 absolvierte er seinen Militärdienst. Er heiratete 1927, 1928 wurde sein Sohn Roland geboren. Im August 1939 vor dem deutschen Überfall auf Frankreich 1940 wurde er zum Dienst bei der französischen Kolonialartillerie eingezogen.
Am 18. Juni 1940 nahmen deutsche Wehrmachtssoldaten Jean-René Vidal in Laval im Nordwesten Frankreichs gefangen. Mitte November wurde er von dort über Chalons, Metz und Leipzig per Bahn in ein Kriegsgefangenenlager in Fürstenberg/Oder transportiert. Am 26. November 1940 kam er im Lager Nr. 301 des Stalag IIID in Berlin an. Zunächst musste er bei den Berliner Wasserwerken arbeiten, dann drei Jahre bei den Berliner Bausteinwerken, unter anderem als Zimmermann. In fünf Jahren durchlief er 13 verschiedene Lager, die über ganz Berlin verteilt waren.
Jean-René Vidal war einer von 20 000 französischen Kriegsgefangenen, die in Berlin untergebracht waren. Sie standen unter dem Schutz der Genfer Konvention, das Internationale Roten Kreuz überwachte die Lebens- und Arbeitsbedingungen. Dieser Schutz fiel weg als die Wehrmacht ab Herbst 1943 Kriegsgefangene in den Status von zivilen Zwangsarbeitern überführte, so auch Jean-René Vidal im Oktober 1943. Seine Arbeitszeiten verlängerten sich, den Weg zum Arbeitsplatz musste er nun selbst mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Wegen der vielen Bombenschäden konnte ein Weg bis zu zwei Stunden dauern.
All seine Erlebnisse hielt Jean-René in Notizbüchern fest. Fast täglich notierte er seine 10- bis 12-stündigen Arbeitstage – sechs Tage die Woche. Er beschrieb, wo er zu arbeiten hatte, wie die Arbeitskommandos zur Arbeit transportiert wurden, seine Unterkünfte, seine Kontakte zu den Mitgefangenen, seine Ernährung, seine Krankheiten, seine freie Zeit, wann Pakete oder Briefe ankamen, wie lange sie unterwegs waren, was sie enthielten oder was er sich gewünscht hätte. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr nächtliche Luftangriffe erwähnt er. Im Mai 1941 skizzierte er die Stationen der S-Bahnstrecke, die er von seinem Unterkunftslager in Grünau bis zur Arbeitsstelle in Lichtenrade zurücklegte. Sein Kommando arbeitete dort in einer Gärtnerei.
Bis zu seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft füllte er acht Notizbücher mit seinen Aufzeichnungen. Sieben liegen heute im Archiv in Bordeaux und können online eingesehen werden.
Nachdem Jean-René Vidal am 23. April 1945 von der Roten Armee in Berlin befreit wurde, kehrte er am 30. Mai 1945 nach fünf Jahren Zwangsarbeit zu seiner Frau und seinem Sohn zurück. Bei seiner Ankunft in seinem Heimatort Bazas hatte er wegen der schlechten Ernährung sehr viel Gewicht verloren. Bis zur Rente betrieb er ein Bistro in Bazas und fuhr Taxi. Jean-René Vidal starb 1983 im Alter von 78 Jahren.
Nach seinem Tod fand sein Sohn Roland die Tagebücher und veröffentlichte 2013 eine leicht gekürzte Fassung zunächst in Frankreich unter dem Titel "Un pion dans la tourmente. Berlin 40-45". 2018 erschienen die Tagebücher unter dem Titel "Ein Spielball in Wirren des Krieges" auf Deutsch.