Vor 80 Jahren, im Mai 1945, feierten Zwangsarbeiter:innen ihre langersehnte Befreiung. Doch viele Unsicherheiten blieben und die physischen und psychischen Entbehrungen belasteten ihre Leben weiterhin. Die meisten wollten Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Viele Heimatstädte und -dörfer aber waren zerstört, Familienmitglieder ermordet worden oder die Heimat befand sich in der Einflusssphäre der stalinistischen Sowjetunion. So blieben viele zunächst oder für immer in Deutschland, andere wanderten aus. Selbst bei der Rückkehr begegnete ihnen oftmals Skepsis oder gar Feindschaft. Die Beziehungen zu den Deutschen blieben belastet.
Die Zwangsarbeit war also mit Kriegsende vorbei und blieb doch existent in den Lebensläufen. Was bewegte ehemalige Zwangsarbeiter:innen auch nach dem Krieg? Welche Entscheidungen konnten oder mussten sie nach dem Krieg treffen? Welche Folgen hatte die Zwangsarbeit für ihre Lebenswege? Inwiefern konnten sie sich neue Leben aufbauen? Wie blickten sie auf die Deutschen? Wie verhielten sich wiederum die Deutschen zu ihren Verbrechen?
Wir sprechen mit unseren Gäst:innen über Geschichten und Perspektiven, die die Zwangsarbeit nicht auf die Kriegszeit reduzieren, sondern ganze Lebensgeschichten in den Blick nehmen. „Befreit. Und dann?“ richtet den Blick dabei nicht nur zurück. Auch heute ist Zwangsarbeit eine Geschichte, die auf der ganzen Welt Millionen Menschen miteinander teilen – als Betroffene, als Verantwortliche und als Nachkommen. Für einen Schlussstrich ist es deshalb noch viel zu früh.
Gäst:innen:
Sarah Grandke ist Historikerin, Kuratorin und Doktorandin an der Universität Regensburg, Deutschland. Sie hatte mehrere Stipendien, unter anderem an der Australian National University, Canberra und dem Sydney Jewish Museum in Australien sowie im Rahmen des ERC-Projekts „Global Resettlement Regimes: Ambivalent Lessons learned from the Postwar (1945-1951)“ an der Universität Wien. Von 2018 bis 2023 war Grandke Kuratorin am Hamburger Dokumentationszentrum „denk.mal Hannoverscher Bahnhof“ zu Deportationen von Jüdinnen/Juden und Roma zwischen 1933 und 1945. Zuvor arbeitete sie in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und war zuvor Kuratorin am Münchner Dokumentationszentrum für die Geschichte des Nationalsozialismus.
Evelina Rudenko hat für die 2022 aufgelöste russische Menschenrechtsorganisation „Memorial“ zahlreiche Bildungsprojekte u.a. zum Schicksal der sogenannten „Ostarbeiter“ durchgeführt. - Noch vor dem Ende der Sowjetunion, ab 1990, entstand bei der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ aufgrund tausendfacher Postzuschriften das „Ostarbeiter“-Archiv mit etwa 320.000 Briefen, in denen die Verfasser:innen oftmals zum ersten Mal von ihrer Zeit in Deutschland berichteten. - Evelina Rudeno lebt heute in Deutschland und ist Projektkoordinatorin bei Memorial Zukunft e.V.
Das Gespräch moderiert Nora Hespers.