Vor 80 Jahren, im Mai 1945, feierten Zwangsarbeiter:innen ihre langersehnte Befreiung. Doch viele Unsicherheiten blieben und die physischen und psychischen Entbehrungen belasteten ihre Leben weiterhin. Die meisten wollten Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Viele Heimatstädte und -dörfer aber waren zerstört, Familienmitglieder ermordet worden oder die Heimat befand sich in der Einflusssphäre der stalinistischen Sowjetunion. So blieben viele zunächst oder für immer in Deutschland, andere wanderten aus. Selbst bei der Rückkehr begegnete ihnen oftmals Skepsis oder gar Feindschaft. Die Beziehungen zu den Deutschen blieben belastet.
Die Zwangsarbeit war also mit Kriegsende vorbei und blieb doch existent in den Lebensläufen. Was bewegte ehemalige Zwangsarbeiter:innen auch nach dem Krieg? Welche Entscheidungen konnten oder mussten sie nach dem Krieg treffen? Welche Folgen hatte die Zwangsarbeit für ihre Lebenswege? Inwiefern konnten sie sich neue Leben aufbauen? Wie blickten sie auf die Deutschen? Wie verhielten sich wiederum die Deutschen zu ihren Verbrechen?
Wir sprechen mit unseren Gäst:innen über Geschichten und Perspektiven, die die Zwangsarbeit nicht auf die Kriegszeit reduzieren, sondern ganze Lebensgeschichten in den Blick nehmen. „Befreit. Und dann?“ richtet den Blick dabei nicht nur zurück. Auch heute ist Zwangsarbeit eine Geschichte, die auf der ganzen Welt Millionen Menschen miteinander teilen – als Betroffene, als Verantwortliche und als Nachkommen. Für einen Schlussstrich ist es deshalb noch viel zu früh.
Gäst:innen:
Patrick Figaj ist Journalist und arbeitet für den SWR und die ARD als multimedialer Redakteur in Mannheim. 2020 startete er das Projekt „Tadschu“. Es ist die Aufarbeitung der Geschichte seines Großvaters, der aus Polen stammte, in Deutschland ziviler Zwangsarbeiter war und später als heimatloser Ausländer in der Nähe von Mannheim lebte. Das Podcast-Projekt, das daraus entstand, war unter anderem für den Deutsch-Polnischen Journalistenpreis nominiert.
Jadwiga Kamola ist Historikerin, Kuratorin und Autorin. Ihre Arbeit ist an den Schnittstellen zwischen Kunst, Faschismus und Moderne angesiedelt. Ihr weiterer Fokus liegt auf postmigrantischer Erinnerung. Sie konzipierte und realisierte digitale sowie analoge Ausstellungen u.a. an der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main und am NS-Dokumentationszentrum in München.
Per Leo ist Historiker und Autor und wurde mit einer Arbeit über die Geschichte des Antisemitismus in Deutschland promoviert. Sein Debütroman „Flut und Boden“ über die eigene Familiengeschichte und die Rolle des Großvaters als ehemaliger SS-Sturmbannführer im sogenannten Rasse- und Siedlungshauptamt stand auf der Shortlist des Leipziger Buchpreises. Der von ihm mitverfassten Leitfaden „Mit Rechten reden“ wurde zum vieldiskutierten Bestseller.
Das Gespräch moderiert Nora Hespers.
Eintritt frei